Das salomonische Urteil (1 Kön 3,16-28)

Nicolas Poussin – das Urteil Salomos

Zu ihrem König reisten einst zwei Huren,
die hatten miteinander ein Problem.
Was aber war die Ursach‘, dass sie fuhren?

„Es trug sich zu nicht lang vor ehedem,
dass beide wir ein Kindelein gebaren –
ich selbst – und diese andre unbequem.

Als wir nun nachts in unsern Betten waren,
naht sich die Müdigkeit mit aller Macht,
zog nieder uns mit ihren schweren Haaren –

es dauert Stunden, eh wir aufgewacht.
Ich selber schlief noch fest in meinen Kissen,
die andre aber hatte unbedacht

ihr Kind erdrückt im Schlaf ganz ohne Wissen.
Es  lag wohl bleich und still und tot und kalt –
da hat sie es vom Bette schnell gerissen

und stahl mir meines listig mit Gewalt.
Tauscht unsre Kinder aus ganz ohne Zagen,
ließ mir zurück die tote Ungestalt.

Mein Kindlein raffte sie aus Bett und Wagen –
verleugnet das und will mich hier verklagen.”

Die andre Dirne aber rief indessen:
„Nein, nein – es war gerade umgekehrt!
Die Vorsicht für ihr Kind ließ  s i e  vermissen,

erdrückt hat sie’s – mit ihrem Leib beschwert.
Mein ist das Lebende! Ihr ist das Tote”
So ward der weise Salomo belehrt …

Dem König nunmehr ein Dilemma drohte:
Wer redet Lügen – und wer redet wahr?
Da kam der Geist des HERRN zu ihm als Bote

und schenkte ihm die Antwort rein und klar:
„Bringt her ein Schwert, mein Urteil euch belohne!”
Sie brachten eins. Und schärfer keines war.

„Jetzt teilt das Kind und gebt – bei meiner Krone –
die eine Hälfte ihr, die andre der.”
Da schrie, die Mutter war, vor ihrem Sohne:

„Nein, ich verzichte ganz, fällt es auch schwer!”
Die andre keifte: „Lasst gerecht uns teilen!”
Nun ward dem König klar, wer welche wär …

Zum Kind seht ihr die wahre Mutter eilen,
und hörtet von dem Schwert, das konnte heilen.